Ein Abschied zu Lebzeiten – Altersfragen Romanshorn-Salmsach

  15.08.2024 Brennpunkt, Salmsach, Romanshorn

Im Rahmen der zwei Aktionsjahre «Demenzfreundliche Gemeinde» hat sich eine Angehörige eines Demenzbetroffenen zur Verfügung gestellt, über ihre Erfahrungen Auskunft zu geben.

Wie haben sich erste Symptome bemerkbar gemacht und wann war das?
Vor rund fünf Jahren habe ich gemerkt, dass mein Mann Schwierigkeiten beim Rechnen und Schreiben bekommen hat. Wir hatten auch Probleme beim Verständnis, meine Kinder haben gemeint, er höre nicht mehr gut. Ich wusste aber, dass er gut hört. Es hat sich dann gezeigt, dass Hören und Verstehen zwei verschiedene Themen sind. Mein Mann hatte auch Probleme mit dem Zeitgefühl, er hat begonnen, einiges zu vergessen. Er hat die Wochentage durcheinandergebracht und wusste nicht mehr, wie er gewisse Hilfsmittel benutzen soll.

Wie verlief der Weg zur Abklärung?
Ich habe als Erstes unseren Hausarzt kontaktiert. Daraus ergab sich eine Abklärung bei der Memoryklinik im Kantonsspital Münsterlingen. Es war mir und meinem Mann ein Anliegen, zu wissen, was los ist.

Nach der Diagnose «spätbeginnender Alzheimer» war es mir wichtig, mich so schnell wie möglich zu informieren und ein Wissen für den Umgang mit Betroffenen zu erhalten. Ich habe einen Kurs für Angehörige bei Alzheimer Thurgau besucht. Ich habe dort viel Wissen erhalten, denn das Ausmass der Krankheit und der Umgang damit waren mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.

Was hatte die Diagnose für Auswirkungen im Alltag? Wie ist das Umfeld damit umgegangen?
Bei einem Besuch beim Arzt oder Optiker übergebe ich jeweils eine Visitenkarte von Alzheimer Thurgau mit einem erklärenden Text. Ich finde das sehr gut, so haben die Leute die Möglichkeit, sich entsprechend dem Gesundheitszustand des Gegenübers zu verhalten.

Mein Mann war ein sehr guter Zuhörer und ein liebenswerter Mann. Aus diesem Grund hat er es seinem Umfeld relativ leicht gemacht, mit ihm umzugehen. Er hat Strategien entwickelt, dass seine Defizite weniger aufgefallen sind. Die Enkelkinder konnten gut mit der Situation umgehen und haben ihn so genommen, wie er gerade war. Für seine Kinder war es schwieriger, da natürlich auch Ängste auftauchten, ob es sich um eine vererbbare Krankheit handelt.

Mein Mann war in verschiedenen Romanshorner Chören aktiv. Nach der Diagnose sind wir sehr offen mit der Information der verschiedenen Sängergruppen umgegangen. So war es für ihn möglich, seine geliebte Freizeitaktivität eine Weile weiter auszuüben. Mein Mann wurde nach der Kirchenchor-Probe jeweils von einem seiner Kollegen nach Hause begleitet und auch während der Probe unterstützt, wenn es notwendig war. Ich möchte auf diesem Weg diesen Vereinen nochmals herzlich für die Unterstützung danken.

Wie hat sich das Krankheitsbild verschlechtert?
Nebst der fortlaufenden Verschlechterung der Symptome wurde mein Mann motorisch sehr aktiv. Das war sehr anstrengend, da ich im Alltag keine Pausen hatte. Die Zeitspannen wurden auch immer kürzer, bis er etwas wieder vergass; dies konnte bereits nach zwei Minuten eintreten. Bevor der Übertritt ins Regionale Pflegeheim vollzogen wurde, war es zu Hause wie mit einem dreijährigen Kind. Ich musste viel eingreifen und berichtigen. Manchmal haben wir am Ende des Tages feststellen müssen, dass wir heute keinen schönen Tag verbracht haben. Das war umso schwieriger, da wir eine sehr harmonische Beziehung geführt haben.

Von welchen Entlastungsangeboten konnten Sie profitieren?
Die Betreuung eines demenzbetroffenen Menschen ist ein Fulltime-Job. Es ist wichtig, dass sich Angehörige Freiraum verschaffen, um sich zu erholen. Mein Mann besuchte nach einer Weile die Alterstagesklinik in Romanshorn; zuerst einmal, dann zweimal wöchentlich. Hier werden Menschen mit diagnostizierten leicht- bis mittelgradig demenziellen Syndromen betreut und durch den Tag begleitet. Diese Entlastung hat mir sehr gut getan. Ich habe grosse Unterstützung in der Selbsthilfegruppe von Alzheimer Thurgau gefunden, die in Amriswil und Arbon angeboten wird. Der Austausch mit anderen ist sehr entlastend. Ich musste lernen, mich selber wieder zu spüren, da ich über Jahre in der Betreuung absorbiert war. Der Aufbau eines eigenen Lebens war nicht so einfach. Einen demenzbetroffenen Partner zu haben bedeutet, einen Abschied zu Lebzeiten vornehmen zu müssen. Es ist das Leben einer Witwe, die Trauerarbeit findet aber während der Anwesenheit des geliebten Menschen statt. Das ist wirklich nicht einfach, da ich alle Entscheidungen treffen muss.

Bücher sind eine gute Hilfe, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Gemeindebibliothek Romanshorn verfügt über einige Bücher, welche die Thematik von der Betroffenenseite, aber auch aus Angehörigensicht beleuchten.

Wann war es Zeit für einen Übertritt ins Pflegeheim und wie wurde das vom Betroffenen aufgenommen?

Vor zwei Jahren war ich sehr erschöpft und benötigte eine Pause. Mein Mann hat sich dann nach einem Arztbesuch von einem Ferienaufenthalt im Regionalen Pflegeheim überzeugen lassen. Dies war für uns auch eine Möglichkeit, zu erfahren, wie es wäre, unser Leben räumlich getrennt zu führen. Mein Mann hat sich wohlgefühlt im Regionalen Pflegeheim und so habe ich entschieden, dass mein Mann stationär in der Demenzabteilung aufgenommen werden soll. Er ist jetzt hier zu Hause und fühlt sich sehr wohl in der Wohngruppe.

Er konnte sich trotz seiner Erkrankung gut auf die neue Situation einlassen. Er ist motorisch ruhiger geworden, da er durch die professionelle Betreuung gut begleitet wird. Es gibt im geschützten Raum viel zu erleben. Er besucht gerne die Gottesdienste oder Auftritte des Kirchenchors im Haus, man hört ihn bereits am Morgen ein Hallelujah singen. Als leidenschaftlicher Tänzer nimmt mein Mann gerne an den Tanznachmittagen im Pflegeheim teil. Ich bin da nicht dabei, da es für mich emotional zu belastend ist, ihm bei unserem gemeinsamen Hobby so nahe zu sein.

Wie sind Sie mit der Trennung umgegangen?
Für mich war die erste Zeit schwierig. Ich musste mir ein eigenes Umfeld schaffen und damit klarkommen, alleine zu Hause zu sein. Ich freue mich auf die Besuche bei meinem Mann und ihm geht das ebenso. Ich bin das in seinem Leben, das er mit Sicherheit noch erkennt. Wir waren immer ein harmonisches Liebespaar, dies ist uns auch in der aktuellen Situation erhalten geblieben. Mein Mann macht mir Komplimente, z.B. über meine schöne Bluse; in diesen Situationen spüre ich den Mann, der er war.

Wir unternehmen bei meinen Besuchen zusammen etwas, besuchen den Friedhof oder die Kirche, zünden Kerzen an oder gehen spazieren. Während dieser Besuche kann ich mich voll und ganz auf meinen Mann konzentrieren. Ich merke aber, dass diese gemeinsame Zeit für ihn nur im Moment stattfindet und am Abend wieder vergessen ist. Das ist für mich nicht so einfach und tut weh.

Die Verabschiedung nach meinen Besuchen ist für mich schwierig, obwohl mich mein Mann inzwischen ohne Komplikationen gehen lässt. Ich benötige jeweils einen grösseren Spaziergang über den Seepark, um mich wieder zu sammeln.

Haben Sie einen Ratschlag für die Allgemeinheit? Was hätten Sie aus heutiger Sicht anders gemacht?
Ich glaube, dass ich vieles richtig gemacht habe. Ich möchte allen ans Herz legen, sich bei Fragen und Unsicherheiten frühzeitig an den Hausarzt zu wenden und eine Abklärung bei der Memoryklinik vorzunehmen. Wir wurden dort sehr gut betreut und die Abklärung hat viel Klarheit gebracht. Es ist wichtig, einen Umgang mit der Erkrankung zu finden und offen zu kommunizieren. Verschiedene Beratungsstellen bieten viel Aufklärungsmaterial und Informationen. Ich kann nur empfehlen, von diesen Diensten zu profitieren und sich Wissen anzueignen. Für mich war es auch wichtig, mich selber zu bilden und ich habe deshalb viel Literatur konsultiert.

Frau B. ich danke Ihnen sehr für Ihre Offenheit.

Fachstelle Gesellschaft


 


Themenjahre zur «Demenzfreundlichen Gemeinde» Romanshorn
Rund 60 % der Menschen mit Demenz leben zu Hause. Daher ist es als Gemeinde wichtig, massgeblich zu einer besseren Lebensqualität und einer stärkeren sozialen Teilhabe von Demenzbetroffenen beizutragen.

In einer demenzfreundlichen Gemeinde

  • werden Stigmen aufgelöst, indem die Bevölkerung über Demenz Bescheid weiss und Verständnis zeigt;
  • werden Menschen mit Demenz verstanden, respektiert, unterstützt, sind Teil des gesellschaftlichen Lebens, fühlen sich miteinbezogen und integriert.

Aktivitäten 2024: Schwerpunkt Information spezialisierter Zielgruppen

  • Austausch mit Romanshorner Hausärzten
  • Mitarbeitendenschulung in der Verwaltung
  • Berichterstattungen im «Seeblick»
  • Impulsabend für Töchter, Söhne, Schwieger- und Grosskinder
  • Grundkurs für Freiwillige – Menschen mit Demenz begleiten

Aktivitäten 2025: Schwerpunkt Information der Bevölkerung

  • Vereinspräsidenten-Treffen
  • Zusammenarbeit mit Gemeindebibliothek
  • Zusammenarbeit mit Ludothek
  • Filmreihe im Kino Roxy
  • Öffentlicher Vortrag
  • Berichterstattungen im «Seeblick»

Kontakt:
Fachstelle Gesellschaft
Stadt Romanshorn
Telefon 058 346 83 31, marian.brenner@romanshorn.ch


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